Wir haben den 07.12.2018, 11:00. Das entspricht UTC 15:00 und das wiederum bedeutet, dass es in Deutschland nun 16:00 ist. Noch 530 sm bis zum Ziel vor Saint Lucia. Unsere voraussichtliche Ankunft dürfte, wenn alles hält, so etwa Montag früh sein. Das würde bedeuten, dass wir dann nach der Überquerung der Ziellinie endlich wieder ein kühles Döschen Heineken wegzischen werden. Die Alkohol-Fastenzeit wird also exakt in diesem Moment Geschichte sein. Das geht auch nicht anders, da uns an unserem Liegeplatz in der Rodney Bay Marina voraussichtlich zwei sehr nett anzusehende, einheimische Mädchen und Victor vom Worldcruisingclub empfangen werden. Außer auf einen großen Präsentkorb dürfen wir uns auf den ersten von sehr vielen weiteren Rumpunsch freuen, der egal zu welcher Tageszeit, natürlich dort auf dem Steg unseren Aufenthalt in der Karibik einleiten wird. Anschließend haben wir uns dann ein Frühstück auf festem Boden verdient, um uns danach um die über 2.800 Meilen gescheuchte und geschundene Seaside zu kümmern. So der Plan. Aber bis dahin kann auch noch viel passieren…

Ups, gerade wird die Seaside von der Aigua angefunkt. Dies scheint der Segler 3 Meilen Backbord voraus zu sein. Offensichtlich konnte er schon frühzeitig unser AIS-Signal lesen und wusste so Namen, Nationalität , Bootsgröße, Geschwindigkeit etc. Es ist ein deutscher Segler auf dem Weg nach Martinique, der einfach mal ein wenig plaudern wollte. Seine Lagoon 46 kann mit unserem Speed von 9-10 kn nicht mithalten und wird wohl in ein paar Minuten langsam achteraus in der rund 4 m hohen Atlantikdünung verschwinden. 

So, nun aber zu den Ereignissen der der letzten zwei Tage.

Unserem kleinen ARC-Bärenmaskottchen habe ich die Arme an seinen Körper festgenäht, damit er nicht aus Bettsi‘s zweckentfremdeten Tuchkleiderhacken herausrutschen kann. Das Bärchen sieht jetzt auch viel sportlicher und windschnittiger aus. Er würde jetzt wohl bei der Vier-Schanzen-Tournee für seine perfekte Flughaltung eine gute B-Note erhalten.

Am Nachmittag dann wieder ein lauter Knall. Zum zweiten Mal haben sich Vor- und Achterholer vom Ende des Spibaums gelöst. Mein Angelversuch in der Reparaturphase war diesmal nicht von Erfolg gekrönt.

Für die vergangene Nacht mussten wir uns gestern Nachmittag entscheiden, ob wir weiter auf Steuerbord durch die Nacht segeln um dann mit Tagesanbruch zu halsen oder ob wir noch vor Dunkelheit halsen, um unserem berechneten Routing zu folgen. Nachtmanöver wären auch möglich, wir haben uns aber sicherheitshalber dagegen entschieden, um kein Risiko einzugehen. Also sind wir dann auf steuerbord durch die Nacht gesegelt, versprach dies doch etwas mehr Wind von bis zu 22 kn. Es kam `mal wieder anders. Ab Mitternacht änderte sich ständig die Windrichtung zu unseren Ungunsten. Ab 03:00 kam Regen mit Starkwindböen von bis zu 32 kn dazu. :Also wurde ein Reff ins Groß gebunden. Kurze Zeit später ein Knall. Es war wieder der Spibaum, der seinen Topnant verloren hatte. Diesen konnten wir einfangen und sicher wegbinden. Bis 0600 beutelte uns der Wind mit Squalls (Regenschauer und Windböen sowie Winddrehungen). Endlich Morgendämmerung. Höchste Zeit für unsere Halse. Mit dem Tageslicht kam dann auch der nächste und schon vor einigen Tagen befürchtete Schaden zum Vorschein. Durch die starken Böen und die dadurch entstehenden höheren Kräfte auf die Takellage, hat der Spibaum seine Befestigungsschiene auf der Mastvorderseite verbogen und teilweise herausgerissen. Wir haben dann gehalst und den Befestigungspunkt des Baumes auf einen tieferen Bereich der Schiene verlegt. Um nicht auch den Rest der Schiene zu verlieren, segeln wir nun mit weniger Schotzug, was dafür sorgt, dass die Genua im oberen Bereich stark twistet und den kostbaren Vortriebswind dort entweichen lässt.

Während der Atlantiküberquerung 2015 hatte ich noch den zweiten und längeren an Bord befindlichen ausziehbaren Spibaum benutzt. Hierdurch konnten wir die Genua weiter quer zum Bug ausbaumen und der Baum drückte mehr von vorn auf die Schiene. So blieb diese heile. Dafür mussten wir öfter die Ausziehmechanik des Baumes reparieren, welcher sich insgesamt als zu schwach für die Seaside herausstellte. Deshalb hatte ich diesen zweiten, starren Baum angeschafft. Das zermürbende Kräfteproblem ist nun allerdings auf die zu schwache Spischiene verlagert. Mist!

Wahrscheinlich werden wir jetzt durch unser Handikap unsere zweite Position in der Klasse B verlieren. Mal sehen, es läuft gerade nicht schlecht und das Wetter hat sich auch gebessert und verspricht schönstes Passatsegeln.

Viele Grüße von der Seaside

Torsten